Liebe Daniela,
die Beschreibung des Produktionsprozesses deiner Kunst auf deiner Website und auf Art Apart wirkt auf mich ausgesprochen lebendig bzw. lebensvoll, weil deine Arbeiten einerseits unter der Einwirkung des Zufalls entstehen, wie ein von dir initiiertes Experiment oder Naturereignis, das du andererseits schließlich durch deine künstlerische Einwirkung quasi zum „Kulturereignis“ machst. Die Essenz deiner Arbeitsmaterialien, wie Wasser, Farbe und Papier, wird in deiner Kunst konserviert und sichtbar. Die fließenden Formen und an Wasser oder andere, plasmaartige, körpereigene Flüssigkeiten erinnernde Farben erscheinen in einer Momentaufnahme erstarrt und bleiben gleichzeitig doch bewegt. Im Gegensatz zu den Surrealisten, die auch mit dem Zufallsprinzip gearbeitet haben, nicht nur in ihren Techniken wie Collage, Frottage, Grattage, Décalcomanie oder Oszillation, sondern auch in ihren Sujets, bleibst du bei deiner Bearbeitung stets in der nichtfigürlichen Darstellung. Völlig abstrakt wirken deine Arbeiten aber auch nicht, weil das Auge die Formen und Farben aus der Natur wiederzuerkennen vermeint und damit unmittelbar Assoziationsketten ausgelöst werden, beispielsweise mit Flüssigkeiten und ihrer „Bedeutung“. So wird in der Evolutionsbiologie davon ausgegangen, dass das Leben auf der Erde aus dem Wasser hervorging, Wasser steht deshalb auch sinnbildlich für das Leben generell. Fließendes Wasser steht philosophisch für Vergehen und Erneuerung.
Denkt man an die Anforderung der Kunst seit dem frühen 20. Jahrhundert, die Trennung von Kunst und Leben aufheben zu wollen, findet man in deiner Kunst festgehaltene, formgewordene Ideen von Leben, die durch die Rezeption der Betracher:innen zu deren Ideen von Leben werden und durch diesen Wahrnehmungsprozess - so sehe ich das – erhalten deine Arbeiten eine eigene Lebendigkeit, die von dir und deinem Publikum gemeinsam geschaffen wird.
An deinen Arbeiten ist tatsächlich nichts einfach völlig dem Zufall überlassen, sondern sie sind bis zum letzten Detail gestaltet – sogar den Rahmen stellst du entweder selbst her oder modifizierst ihn. So bestimmst du in der letzten Instanz mit der Kontrolle der Künstlerin also auch zum großen Teil über die Präsentation deiner Arbeiten an anderen Orten, wie dem Ausstellungsraum oder dem Wohnzimmer deiner Sammler:innen. Der Rahmen als Symbol für Eingrenzung und (Re-)Präsentation ist Teil des Gesamtwerks, das sich eigentlich gar nicht ein-rahmen oder ein-grenzen lassen will, weil es – auch im trockenen Zustand – immer weiter fließt in den Augen der Betrachter:innen.
„Panta rhei!“ sagte Heraklit... alles fließt, erneuert sich, verändert sich, permanent und endlos.
Dazu meine 1. (mehrteilige) Frage:
1. In der (fernöstlichen) Philosophie, der du dich gemäß der Beschreibung deiner Kunst nahe fühlst, wird oft darauf hingewiesen, dass man sich dem Fluss des Lebens öffnen und hingeben müsse, um Erkenntnis oder Erfolg oder persönliches Glück zu erlangen. Widerstand sei ohnehin zwecklos und reine Energieverschwendung, führe nur zu Trauer und Verlust. Bist du bei der Wahl deiner Arbeitstechnik dieser Philosophie gefolgt oder deiner künstlerischen Intuition bzw. deinem persönlichen Sinn für Ästhetik? Oder hat das eine das andere hervorgerufen bzw. bewirkt? (Ich weiß, das ist eine Frage nach der Art „was war zuerst da – die Henne oder das Ei“? – aber diese Frage ist schließlich auch eine philosophische!)
Das mit der Frage nach der Henne und dem Ei ist sicherlich zutreffend. Bei mir gab es im Laufe meines Malereistudiums einen Knackpunkt. Ich hatte Arbeiten immer und immer wieder übermalt, manchmal über Jahre. Am Ende konnte man die einzelnen Schichten nicht mehr sehen, ich war unzufrieden. Die Bilder waren flach und mir nie vielschichtig genug. Auch hatte ich zuerst gegenständlich und abstrahiert gearbeitet und konnte mich später mit den Themen nicht mehr assoziieren – worauf ich sie wieder übermalt habe.
Zuerst habe ich mich vom Format befreit. Ich begann auf dem reinen, ungrundierten Leinen zu malen, ohne vorher eine Größe festzulegen. Im Malprozess mit Farbe und Wasser bemerkte ich, dass die Formen, die komplett ohne Absicht entstehen – die Farbflüsse, die unter, neben oder abseits vom Leinen fließen, mir dieses Neue, Überraschende, Spannende und Erfüllende geben, das ich mit Kontrolle immer erlangen wollte und nie erreicht habe. Ich begann, mir das Setting zu schaffen, um meine eigene Realitätssteuerung bewusst auszuschalten. Nach der Trocknung beschäftige ich mich bewusst mit den entstandenen Formen und arbeite mit ihnen weiter, gebe meinen Bildern manchmal lange Zeit, sich zu entwickeln. Loslassen und fließen lassen – das hat meine Kunst ein Stück weit befreit.
Ich sehe eine gewisse Wertigkeit darin, das Wesen und den Prozess von Dingen wahrzunehmen. Die Dinge wertzuschätzen, die beiläufig entstehen und eine besondere Art von lebendiger und gelebter Schönheit ausstrahlen, die eine eigene Geschichte erzählen. Ich mag die subtilen Nuancen in der Kunst. Die Feinheiten.
In diesem Intro-Text wird auch gesagt, du beschäftigst dich mit dem Verfall, also auch Vergänglichen, dem Flüchtigen – doch du hältst die flüchtigen Momente ja fest und zeigst dadurch ihre potenzielle Permanenz. Ist nicht das „Werden und Vergehen“ ohnehin in der Realität einfach eine Form von Transformation, die von unserer Wahrnehmung abhängig ist? Ist die Offenheit deiner Kunst im Kontext mit ihrer Interpretierbarkeit auch ein Ausdruck davon?
Ja ich weiß, das scheint einen Widerspruch zu beinhalten, der es ja auch in gewisser Weise auch ist. So manches in unserer Gesellschaft scheint widersprüchlich zu sein und wirft Fragen auf.
Der französische Philosoph Paul Virilio beschreibt in seinem Essay „Rasender Stillstand“ von 1989 das Gefühl der Machtlosigkeit, das Empfinden, dass die Zeit immer schneller zu vergehen scheint und wir gleichzeitig den Eindruck haben, dass sich nichts mehr bewegt. Wir sitzen in unseren eigenen vier Wänden und sind überall auf der Welt gleichzeitig. Es schafft damit eine gewisse Kontrolle über alles, über die Umwelt und eine nicht unproblematische Grenzenlosigkeit. Es gibt noch einige andere Philosophen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Im Moment lese ich das Buch „Beschleunigung“ von Hartmut Rosa, der auch auf diese Widersprüchlichkeit Bezug nimmt.
Wir haben den Druck, für alles Zeit haben zu müssen, überhaupt viel zu ‘müssen‘. Ressourcen der Erde werden erschöpft, gleichzeitig ist der Mensch immer weniger mit ihr in Kontakt.
Ich selbst habe oft das Gefühl, dass die Zeit rasend schnell vergeht, dass sie mir davon läuft, dass es so viele Dinge zu tun gibt. Der Anspruch an mich selbst ist riesengroß.
Meine Kunst erdet mich, sie lässt mich ganz im Jetzt sein und die Zeit vergessen. Wenn ich sie ansehe, komme ich immer wieder in diesen Zustand zurück.
Meine Bilder lassen mich ruhen. Sie betrachten. Und an nichts denken. Nur das Zusammenspiel der Formen ansehen. Der Farben. Wie sich alle Komponenten bewegen, sich ausbreiten und fließen. Das scheint wenig zu sein. Ist es aber nicht. Es braucht nicht unbedingt einen zusätzlichen, darüber gestülpten kognitiven Inhalt. Farbe und Form erzählen so viel, wenn man sie erzählen lässt.
Mir geht es um das Wahrnehmen - nicht ums Denken müssen. Wahrnehmen was gerade ist, wie ich mich fühle, wenn ich etwas sehe, was ich spüre, was ist.. wie etwas riecht, glänzt, sich verändert, bewegt. Ganz im Sein zu sein.
Meine Bilder wollen nichts von mir. Deshalb bin ich so gerne mit ihnen.
Alles verändert und transformiert sich ständig in der Natur. Mein Bedürfnis nach Erdung wird immer größer, nach dem Einssein und der Verbindung mit der Natur.
2. Deine Kunst ist.....?
Für mich ist sie Ausdruck von natürlichen, organischen, inneren und gesellschaftlichen Zuständen. Von Lebendigkeit, Prozess, Werden und Vergehen, Scheitern, Ecken und Kanten, Menschlichkeit, Zufall, Entstehung und Kontrolle, Zerrissenheit, Festhalten und Bewahren wollen, Annehmen. Wie sie von anderen empfunden wird, lasse ich vollkommen frei.
Die 3. zweiteilige Frage ist gar keine, sondern eher eine persönliche Vorstellung für dein Publikum bei Art Apart:
Wie würdest du dich in 7 Worten (oder weniger) beschreiben? Was ist dein Motto bzw. dein Mantra?
Nachdenklich, bewusst, reflektiert, lebendig, erdverbund, fragend, annehmend.
Mir geht es darum, wahrzunehmen, den Dingen Beachtung zu schenken, die ganz von selbst, durch den Prozess entstehen, dem Laufe der Zeit, durch Intuition und dem sich drauf Einlassen. Die Zwischentöne, das Nonverbale, die kleinen Dinge, die Schönheiten im Verborgenen. Die Poesie des Materials selbst.
Zur 4. Frage:
Spiegeln sich in deinen hier gezeigten Werken auch persönliche Fragen? Wenn ja, inwiefern ist das der Fall?
Was bedeutet deine Kunst für dich?
Ja, meine Kunst zeigt mir schon einiges auf. Meinen Umgang mit Zeit zum Beispiel. Manchmal möchte ich, dass meine Bilder schneller fertig sind, aber sie lehren mich, dass es den richtigen Zeitpunkt gibt, den ich nicht erzwingen kann. Sie sind kein Produkt. Das ist mein Zugeständnis an sie. Manchmal brauchen Sie einfach länger. Sie lassen mich den Umgang mit Zeit gut lernen. Sie lassen mich warten – aber es ist eigentlich kein Warten – es ist ein Wachsen und Entwickeln.
Der Zufall hilft mir dabei, die Formen zu erschaffen, die ich aus der kompletten Freiheit gewinnen kann. Er löst mich von der ständigen kognitiven Bewertung von Dingen – den Weg und die Lösung sehe ich für mich in der vollkommenen Abstraktion, die mir die Freiheit gibt, wahrnehmen zu dürfen was ist, ohne sofort nachzufragen, was das Thema ist. In unserer Gesellschaft hat Kontrolle und Denken die Überhand gewonnen. Wir können kaum mit unserer Intuition, mit unserer Empfindsamkeit umgehen – oder sie wird als geringschätzig abgetan. Weil sie so schwer fassbar ist. Das macht es aber gleichzeitig so interessant für mich. Die Fragen, die aufgeworfen werden.
Die Rechnung tragen wir alle – wir beuten unseren Lebensraum aus, sind permanent unglücklich und unzufrieden, müssen Zeitseminare besuchen, die uns lehren, wie wir unsere Zeit noch besser optimieren.
Meine Bilder zeigen mir nicht nur das Fließen und Bedürfnis nach dem in mir selbst Ruhen und dem Einssein, der Sehnsucht nach dem Verbundensein mit der Erde und ihren Ausformungen, sondern auch eine gewissen Fragmentierung, eine Zerrissenheit, einem an allen Plätzen gleichzeitig und entwurzelt zu sein. Ich reiße das Papier von der Leinwand und ordne es immer wieder neu an. Wir wollen uns oft ständig optimieren, das kann ja einerseits gut sein, aber auch ein Zwang – ein Verhängnis - vielleicht zeigt sich diese Thematik an dem ständigen Überarbeiten mancher Bilder.
5. Die große Zäsur des 21. JH ist die aktuelle Pandemie, die existenzielle Fragen erneut in neuem Kontext und neuen Perspektiven wachruft. Deshalb stelle ich auch hierzu eine (mehrteilige) Frage:
Inwiefern beeinträchtigt oder beeinflusst die aktuelle Pandemie-Situation deine Arbeit? Wirst du sie in deiner Kunst verarbeiten? Wenn ja, weißt du schon, auf welche Weise?
Möglicherweise ist die Fragmentierung in meiner Arbeit seitdem größer geworden. Das gestische Reißen von Papier beinhaltet auch eine gewisse körperliche Energie, eine Unruhe. Vielleicht ist es ein großes Fragen, eine Suche, der Ausdruck von Ohnmacht, ein Neu – Ordnen.
6. Welche Frage bewegt dich gerade?
Oberflächlichkeit, Produzieren und der Umgang mit Zeit. Ich verspüre eine große Sehnsucht nach Tiefgang, auch in der Kunst, nach dem Wertschätzen einfacher Dinge – darum mag ich Papier wahrscheinlich so sehr. Weil es so pur und ehrlich ist und man es formen und immer wieder verändern und bearbeiten kann und die Schichten an Zeit und Vergangenheit bestehen und sichtbar bleiben. Ich frage mich auch, ob uns der Perfektionismus ans Ende der Kreativität bringt oder uns helfen wird. Perfektionismus, der einerseits ein verführerischer Antrieb ist, aber gleichzeitig Stillstand bedeutet, wenn keine Veränderung mehr möglich ist. Gleichzeitig bediene ich mich aber genau dieser Muster. Ich kontrolliere den Zufall und versuche den Moment, das Fließen festzuhalten. Es offenbart sich eine innere Zerrissenheit – die Sehnsucht nach Perfektion, Struktur und Ordnung und das gleichzeitige Durchbrechen dieser.
Ich durfte immer wieder lange Zeit in Bulgarien verbringen und erleben, dass die Leute oft weniger Geld haben und deswegen auch unzufrieden sind. In vielen Dingen sind sie aber entspannter. Dinge, die manchmal scheinbar unperfekt sind, haben eine eigene, gelebte und lebendige Ästhetik. Mich inspiriert das Stadtbild von Plovdiv sehr. Eine Hausmauer, welche die Zeichen der Zeit zeigt. Moos und Flechten, die über die Jahre wild gewachsen sind. Sie lassen uns mit der Vergangenheit in Beziehung treten und sie in die Gegenwart integrieren. Auch die Todes- und Gedenkanzeigen, die überall fragmenthaft, frisch oder zerfallen – auf den Straßen zu finden sind. Es entsteht dadurch so viel Raum für Neues und schafft eine gewisse Freiheit, ohne die alles glatt und gleich wäre.
7. Welche Frage(n) hast du an dein Publikum hier auf Art Apart? Mich interessiert, wie die Leute denken, was ihnen wichtig ist, mit welchen Themen sie sich beschäftigen, welche sie davon in meiner Kunst wiederfinden. Ich freue mich auf den Austausch, ein bisschen übers Philosophieren, wenn man mag.
7 Fragen an… … ist eine feste Rubrik. Immer sieben Fragen, immer dieselben: die Antworten so divers wie die Künstler:innen die Euch in unserem Magazin Rede und Antwort stehen. Idee und Umsetzung Tatjana Nicholson
https://art-apart.gallery/magazin/interviews/daniela-prokopetz/
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